Neuland bei der EZB & Handlungsbedarf für Anleger
Bereits im Vorfeld der Verlautbarungen der Europäischen Zentralbank (EZB) am 5.6.2014 titelte die auflagenstärkste Tageszeitung Deutschlands „Zinsschock – Wird heute ein schwarzer Tag für Sparer“. Das dann auf die Fakten folgende Medienecho hätte kaum größer sein können. Unmittelbar nach der offiziellen Pressekonferenz waren Schlagwörter wie „Neuland, Experiment, Marktmanipulation, Strafzins und Enteignung“ zu lesen. Ebenfalls wurde die Brücke von niedrigen Zinsen zu einem konkreten Finanzprodukt geschlagen. So titelte die Bild „Zinsschock – so viel verliert Ihre Lebensversicherung“. Auch Gewinner- und Verliererlisten der Maßnahmen wurden in verschiedenen Medien diskutiert. Neben den Medien gab es natürlich auch ein breites Echo von Volkswirten, Finanzexperten und Finanzbloggern mit verschiedensten (nicht immer gleichgerichteten!) Analysen zu dem geäußerten Mix aus Zinssenkung und geldpolitischen Interventionen. Im Ergebnis wird sich hoffentlich ein steigender Anteil in der Bevölkerung mit den Folgen für seine Finanz- und Ruhestandsplanung auseinandersetzen. Unsere Analyse zu den Maßnahmen der EZB finden Sie im aktuellen Euro-Krisenbarometer https://www.ypos-fp.de/eurokrisenbarometer/euro-krisenbarometer-juni-2014-7170/
Reaktion an den Märkten
Die Aktienmärkte machten einen Freudensprung in die Höhe, wobei besonders die europäischen Peripheriestaaten profitieren konnten. Trotz der bereits im Vorfeld gesunkenen Renditen am Anleihemarkt sind diese nach der EZB Entscheidung nochmals signifikant gefallen. Mittlerweile zahlt Spanien für Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren nur noch eine Rendite von 2,621 Prozent und damit weniger als die USA (2,6566 Prozent). Durch die sehr tiefen Zinsen in der Eurozone werden Anlagen in Fremdwährungen wieder stärker nachgefragt. Die Kombination aus Zinsunterschied und gewachsener Zuversicht auf eine anhaltend expansive Geldpolitik in der Eurozone veranlasst Anleger dazu Gelder in der Eurozone aufzunehmen und in höher verzinsten Währungen anzulegen. Das Zinsniveau in Australien oder Brasilien ist bspw. deutlich höher. Durch diese Entwicklung gab der Eurokurs seit der EZB Entscheidung deutlich nach und verschafft der europäischen Wirtschaft eine steigende internationale Wettbewerbsfähigkeit. Ob dies zu einer importierten Inflation führt bleibt abzuwarten. Insbesondere China „exportiert“ deflationäre Effekte.
Welche Renditen können aktuell noch erzielt werden?
Der monatlich erscheinende Inflationscheck zeigt die geschätzten Nachsteuerrenditen für verschiedene Vermögensklassen abzgl. Abgeltungsteuer und Solidaritätszuschlag. Aufgrund der starken Marketingpräsenz wird auch der Bereich einkommensorientierte Multi-Asset-Fonds indikativ abgebildet. Je nach Konzept und Ausprägung werden hier verschiedene Vermögensklassen mit relativ hohen laufenden Erträgen kombiniert. Aber auch hier gilt der Grundsatz: Die Verpackung (in diesem Fall der Investmentfonds) kann nicht mehr Rendite generieren, als der Inhalt liefert.
Anleger und deren Berater sollten die verschiedenen Konzepte daher nicht nur aufgrund der historischen Wertentwicklung, sondern aufgrund des Inhalts und der verwendeten Vermögensklassen analysieren. Unabhängig von jeder Marktmeinung bleibt, besonders für festverzinsliche Wertpapiere, festzuhalten, dass die hohen Renditen der Vergangenheit die erwarteten Renditen für die Zukunft reduzieren.
Guthabenkrise wird spürbarer
Was in der Wahrnehmung der meisten Menschen als historisch „einmalige“ Hypothekenkrise in den USA begann, wurde im Zeitablauf zur Euro- und Staatsschuldenkrise. Spätestens seit dem 5. Juni 2014 werden die Entwicklungen immer deutlicher als Guthabenkrise identifiziert. Schließlich kann der Gläubiger nur die Rendite erhalten, die sich der Schuldner als Zins auch dauerhaft leisten kann.
Die Kritik verschiedener Verbände an der Zinspolitik der Notenbank greift daher wohl etwas zu kurz. Was nützen höhere, dem Ausfallrisiko angemessene Zinsen, wenn der Schuldner diese nicht dauerhaft leisten kann? Die Konsequenz wäre ein teilweiser Schuldenschnitt, der ja auch die Vermögen und Forderungen der Gläubiger entwertet. Ceteris paribus gibt es höhere Zinsen also nur, wenn die Schulden und damit auch die Guthaben zumindest real (also unter Einbeziehung der Inflation) niedriger sind. In diesem Kontext ist der Zinseszinseffekt nicht nur Lösung, sondern auch Problem der Altersvorsorge.
Die Interventionen der EZB und auch die Diskussionen um Bewertungsreserven bei Lebensversicherern sind daher als Begleiterscheinungen des langsamen Übergangs von der globalen Schulden- zur individuellen Guthabenkrise zu sehen.
Eine schematische Darstellung verdeutlicht dies:
Ausgewählte Fragestellungen
Ruhestandsplanung
Kann die für die Sparphase angenommene Rendite nach Kosten und Steuern durch die verwendeten Vermögensklassen überhaupt erreicht werden? Und kann diese durch den Anleger auch realisiert werden?
- Bei einem Rentenfonds würde sich die Frage des Anteils an den Bewertungsreserven aufgrund gefallener Zinsen gar nicht erst stellen. Gleiche Vermögensklasse, unterschiedliches Produkt (Versicherung vs. Fonds) führt also zu unterschiedlicher Realisierungsmöglichkeit.
Welche Renditen werden für den Ruhestand angenommen und erscheinen diese auf Sicht der nächsten Jahre plausibel? Das heutige Angebot im Versicherungsbereich zeichnet sich durch eine große Vielfalt in der Sparphase aus, aber in der Rentenphase wird wieder der extrem zinsabhängige Deckungsstock verwendet.
- Alternative bzw. ergänzende Konzepte für die Geldanlage im Ruhestand sind gefragt.
Immobilien & Finanzierung
Die Zinsen sind in den letzten 30 Jahren im Trend gefallen. Dementsprechend haben die meisten der heute aktiven Kreditsachbearbeiter, Finanzberater und Immobilieninvestoren keine praktische Erfahrung mit nachhaltig steigenden Zinsen.
- Auch wenn es nicht der eigenen Zukunftserwartung entspricht. Was wäre, wenn die Zinsen in einigen Jahren bei 5 Prozent stehen? Die Refinanzierung wäre teurer, Immobilienpreise könnten niedriger sein und die Aufsicht würde von den Banken wahrscheinlich mehr Eigenkapital für Kredite fordern. Diese würden die Bank in Form von zusätzlichen Sicherungswünschen an den Darlehensnehmer weiterleiten. Wie wird dieses Risiko heute durch die Wahl von Zinsbindung, Tilgung und sonstiger Planung berücksichtigt?
Saubere Analysen statt Crash-Prophezeiungen
Der mediale Rummel um Strafzinsen und die Enteignung des deutschen Sparers sollte Anleger nicht zu vorschnellen Entscheidungen verleiten. Auch die regelmäßigen Crash- und Weltuntergangsprophezeiungen mögen zwar eine spannende Lektüre sein, aber zu einer nachhaltig strukturierten und erfolgreichen Finanzplanung tragen diese nicht bei. Eine Analyse der eigenen Vermögensstruktur, die Kenntnis der eigenen finanziellen Risikobereitschaft und eine handwerklich sauber umgesetzte Anlagestrategie waren, sind und bleiben die richtigen Antworten auf die aktuellen und zukünftigen finanziellen Herausforderungen.