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Österreich hat Schulden zu einem Zins von 2,1 Prozent und für Laufzeit von 100 Jahren aufgenommen. Auch der Vergleich von Schuldnern schwächerer Bonität aus dem Euroraum und dem sicheren Hafen US-Staatsanleihen offenbart den brutalen Anlagenotstand. Selbst die erwartete Dividendenrendite im europäischen Aktienmarkt liegt aktuell über der Verzinsung von Anleihen mit schwächerer Bonität. Anleger sollten sich dennoch nicht in den Zinswahnsinn drängen lassen, sondern Ihren finanziellen Sachverstand in Ruhe schärfen.
70 Jahre längeres Risiko für 0,5 Prozent höhere Zinsen?
Der Staat Österreich hat sich am Kapitalmarkt einen Kredit aufgenommen. Die Laufzeit beträgt 100 Jahre, der Zins 2,1 Prozent. Das Bild zeigt die Rendite einer Anleihe mit einer Restlaufzeit von 30 Jahren. Die aktuelle Rendite beträgt 1,6 Prozent. Der Aufschlag für eine um 70 Jahre längere Laufzeit beträgt also lediglich 0,5 Prozent.
Bei Anleihen ist das Zinsänderungsrisiko umso höher, je länger die Restlaufzeit ist. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Schuldner Zins und Tilgung nicht mehr leisten kann oder will, steigt mit der Länge der Laufzeit an. Zudem sollte der Zins auch den Kaufkraftverlust durch Inflation berücksichtigen. Dieser wirkt sich bei langen Laufzeiten, seien es 30 oder 100 Jahre, natürlich sehr deutlich aus.
Noch ein Indikator für den Zinswahn
Ganz früher hieß es: „Ist die Dividendenrendite höher als die Verzinsung von sicheren Staatsanleihen, dann muss man Aktien kaufen“. Dann hieß es: „Ist die Dividendenrendite höher als die Verzinsung von soliden Unternehmensanleihen, dann muss man Aktien kaufen“. Heute ist die Rendite von Schuldnern schwächerer Bonität (dunkelblau) niedriger als die erwartete Dividendenrendite (orange). Soll man deswegen jetzt Aktien kaufen oder verzerrt der Zinswahnsinn die Bewertungsrelation zu sehr?
Natürlich kann man diese beiden Vermögensklassen aufgrund ihrer verschiedenen Charakteristika nicht eins zu eins Vergleichen. Und Dividenden sind sicherlich nicht die neuen Zinsen… Dennoch zeigt die aktuelle Situation im Vergleich zu den historischen Daten (und dem gesunden Menschenverstand) sehr deutlich, wie groß der Zinshunger der Anleger ist. Eine gesunde Entwicklung ist dies sicher nicht.
Niedrige Zinsen hier, Aktienmarktrekorde dort
Der US-Leitindex S&P500 hat am gestrigen Handelstag mal wieder ein neues Allzeithoch erreicht. Neben den guten Unternehmensgewinnen spielen sich auch die global sehr niedrigen Zinsen eine Rolle für diese ungewöhnlich schwankungsarme Aufwärtsentwicklung. Der Kapitalmarkt ist schließlich global und Anleger auf der Suche nach Rendite flexibel…
Es ist sicher deutlich geworden, dass wir uns in einer außergewöhnlichen Situation befinden. Die Konsequenzen betreffen das Wertpapierdepot, aber auch die Altersversorgung. Für Anleger und deren Berater gibt es also viel zu tun: Die Transparenz über die vorhandene Vermögensstruktur muss gesteigert und die Entscheidungsbasis finanzieller Fragestellungen verbessert werden.
Eines sollte man jedenfalls vermeiden: Sich aufgrund der niedrigen Zinsen in eine Anlagestrategie begeben, die nicht zur eigenen Situation paßt. Dieses Risiko ist aktuell, ganz im Gegensatz zu den Zinsen, sehr hoch!